Wieso und weshalb die Türken so abstimmten wie sie es taten?
Weil sie meinen die Türkei braucht‘s so, wegen einem falsches Bild von der alten Heimat, weil sie meinten es gehe um Erdogan oder aus Protest gegenüber den „Gastländern“? Und einfache Antworten auf komplizierte Sachverhalte sind halt leicht zu glauben. Besonders wenn man sie emotional so aufläd. So ähnlich waren die Meinungsäußerungen nach der Wahl von Befürwortern der Verfassungsänderung, welche ich zu lesen und hören bekam.
Interessanterweise sollen die Diaspora-Türken, welche in eher autoritären Regimen (ostwärts ab der Elbe bis China) zu den Wahlkreisen gehören die prozentual am höchstens mit Nein abstimmten. Traurig aber wahr: ob im Kleinen oder Großen, einzelne Personen oder Nationen; manche Erfahrungen, ob positiv oder negativ, muß man wohl selber machen. Auch wenn die Lebensweisheit anderer einem etwas besseres lehren könnte.
Und es scheint fast schon ein Reflex des Menschen zu sein bei Bedrohung und Krisen scheinbar Starken folgen zu wollen.
Was mich wundert: ob Brexit oder Verfassungsreform, im Parlament gelten höhere %-Hürden als bei Volksabstimmungen. Welchen Experten fallen solche Gesetze ein? Sollten die Hürden für eine erfolgreiche Abstimmung nicht so gleich hoch sein?
AKP und Erdogan sind ja als Reformer angetreten und haben auch viel bewirkt. Gerade auch im sozialem Bereich. Nach dem was ich so las wählten manche Erdogan weil sie ihn für die sichere Alternative hielten. Und manche für die Fortschritte in der Türkei welche besonders am Anfang der AKP-Regentschaft geschahen. Manche halten ihn für das geringere Übel. Andere haben einen etwas verzerrten, verklärten Blick auf die alte Heimat. Und wer sagt denn das den Überzeugungswählern das politische System hier so gefällt? Vielleicht wäre denen Demokratie a la Orban oder Erdogan tatsächlich lieber?
Und sie picken sich nicht die Rosinen wie soziale Sicherheit und Infrastruktur raus, sondern nehmen das Übel der toleranten weltoffenen Gesellschaft in Kauf? Vielleicht können die es gerade so ertragen, gerade so tolerieren das hier Frauen so rumlaufen dürfen wie es ihnen gefällt? Das diese Frauen einfach so arbeiten gehen dürfen? Das hier offen Homosexualität gezeigt werden darf?
Das Toleranz, Akzeptanz, Freiheit und trotzdem (oder vielleicht eher genau deshalb?) Sicherheit ihnen ebenso zugute kommt, dies vergessen sie dann leider wohl. Oder es fällt ihnen nicht auf.
Jedenfalls kann man jene Wähler, die wissend und aus Überzeugung für Ja stimmten, ruhigen Gewissens als nicht in der Gesellschaft angekommen bezeichnen.
Was nichts daran ändert das sie die Vorzüge eines Lebens in Deutschland ebenso mit seinen Rechten und Pflichten ebenso haben wie alle anderen die hier leben.
Andererseits wenn ich hier manche deutschstämmige Kunden über Folter und Todesstrafe reden hören. Da könnt man meinen der IS spricht. Ist nur der Underschied (wenn überhaupt) was man als strafenswürdig ansieht. Hier sinds gerne unter anderem Pädophile denen man lebendig die Haut abziehen würde.
In dieser Gesellschaft ist offen und ernsthaft in allen sozialen Schichten darüber diskutiert worden ob und wann Folter (oder deren Androhung) vertretbar ist. Und das nicht etwa theoretisch sondern sehr wohl praxisbezogen.
Muß ich noch erwähnen das bei der genannten ehrenwerten Kundschaft ebenfalls ein Wunschdenken für eine autokratische Demokratie vorherrscht? Verbunden mit einer FJS-Heiligenverehrung bei der ich mich ernsthaft frage wo das herkommt. Gut, Charisma und Chupze hatte er ja. Das der alte Kommunistenfresser sich aber nicht zu schade war der DDR zu einem Kredit mitzuverhelfen anstatt darin zu wirken den maroden Laden gleich hops gehen zu lassen, das wird dann nicht registriert. Wenn die Soviets schon keine Rubel rollen lassen wollten: das will schon was heißen. Von den ganzen sonstigen Korruptionsvorwürfen zur Person des seligen Strauß und dessen Machenschaften mal ganz abgesehen.
Aber gut, vielleicht hängt das ja mit dem römisch-katholischen Glauben zusammen. Diese Sehnsucht nach einem unfehlbaren Anführer.
Also wie kann man erwarten das alle Menschen in einem Land die selbe Auffassung vom systemischen Aufbau der Gesellschaft dieses Landes haben? Demokratie ist sehr definitionsfähig. Alleine schon jedes europäische Land hat seine eigene Definition und in so manchen dieser Nationen wird momentan sehr darum gerungen.
Über das was Erdogan tat, macht und machen will kann man trefflich streiten und diskutieren. Doch im Grunde war es bene kein Referendum Pro oder Contra Erdogan. Es ging um eine Verfassungsänderung. Wenn diese in Kraft tritt ist Erdogan 72. Eines Tages wird auch er den Weg allen Irdischen gehen. Die Verfassung, welche sehr viel Macht in die Hände einer einzigen Person legt, ist dann aber immer noch sehr irdisch. Wer mag nach Recep I. kommen?
Autoritäre System sind korruptionsanfälliger und verführerischer im Machtmissbrauch. Was mag aus der Türkei werden?
Orthographische und grammatikalische Fehler bitte ich zu entschuldigen.
Auch das manche Formulierung eher in die Kategorie Glosse passt macht das Geschriebene nicht besser. Es fällt mir allerdings auch schwer die Form zu wahren.
Mein Dank an Bettina, Nicole und Tansu für den Gedankenaustausch.